Stadt Trier kündigt Konsequenzen wegen Auftritt staatskritischer Künstler an
Musiker und Kabarettist massiv im Vorfeld eines Friedensfestivals wegen Kontakt zu der Partei Die Basis angegangen. Stadt verweigert Fördergelder. Ein erbärmliches Verhalten. Kommentar
Erbärmliche Szenen in Trier. Zwei Künstler mit einer Nähe zur "Querdenkerszene" wollen auf dem „Festival für Frieden, Freiheit und Freude“ auftreten. Das ist zu viel für die Stadt. Zwar nehmen die Funktionsträger zähneknirschend den Auftritt hin, aber: Konsequenzen werden über die Lokalzeitung angekündigt. Was ist das für ein Demokratie- und Pluralismusverständnis?
Jede Stadt sollte froh sein, wenn bei einem Freiheits- und Friedensfestival Staats- und regierungskritische Stimmen auftreten. Staats- und Regierungskritik gehören zur Demokratie wie Freiheit und Pluralismus. Demokraten, die ein Problem mit Staats- und Regierungskritik haben, haben die Demokratie nicht verstanden. Die gerade bekanntgewordenen Entwicklungen führen zu der Frage: Welches Demokratieverständnis herrscht in Trier vor? Wo liegt das Problem, wenn Künstler, die den Maßnahmenexzess der Coronapolitik kritisch hinterfragen, bei einem lokalen Festival auftreten? Aus dem Blickwinkel der Demokratie betrachtet liegt, gewiss, kein Problem vor. Doch gemäß dem vorherrschenden Zeitgeist, dessen bestimmende Konstante die politische Orthodoxie ist, passen unbequeme, kritische, ja auch: querdenkende Akteure heutzutage nicht ins Bild. Sie sind ein Störfaktor für eine Politik, die mit viel Mühe vor allem durch eine Entdifferenzierung der Realität hervorsticht.
Wer sich kritisch äußert, ist "radikal”
Die Verengung des Meinungskorridors innerhalb des Medienmainstreams auf den Durchmesser eines Strohhalms zeugt davon. Die Stadt Trier hat nun öffentlich gemacht, dass sie Anstoß an dem Musiker Jens Fischer Rodrian und dem Kabarettisten Uli Masuth nimmt. Die Lokalzeitung Trierischer Volksfreund berichtet heute in einem großangelegten Artikel von dem Konflikt hinter den Kulissen. Hauptvorwürfe: Rodrian und Masuth stünden der Partei Die Basis nahe. Und dann fallen in dem Artikel zu erwartende politische Kontaminationsbegriffe wie „demokratiefeindliche Äußerungen“, „rechte Tendenzen“ und „Nähe zur Querdenker-Bewegung“. Die Verfasserin des Artikels, Reporterin Anne Heucher, bezeichnet Rodrians Ansichten als „radikal“. Der Musiker habe „radikale Ansichten zur politischen Lage“ ausgesprochen, wie etwa, dass die Demokratie in Deutschland eine Illusion sei“ und von der „Gefahr einer Impfdiktatur“ gewarnt.
Als Leser dieser Zeilen fragt man sich: Was soll an diesen Aussagen „radikal“ sein? Fragen nach dem Soll- und Istzustand westlicher Demokratien haben ihren festen Platz in der gesellschaftswissenschaftlichen Literaturgeschichte.
(Kaiserthermen in Trier. Der ruinöse Zustand: ein Sinnbild. Foto: © Presseamt Trier
Eine unsägliche Ignoranz und Dummheit
Die Frage, ob wir tatsächlich in einer Demokratie oder einer Demokratiesimulation leben, gehört mit zu den spannendsten der Demokratiegeschichte. Wer sie mit Empörung, wer sie als ungeheuerlich zurückweist, nicht diskutieren will oder gar soweit geht, dass solche Fragen den Staat gefährdeten, beweist eine unsäglich Ignoranz und Dummheit bei der Erfassung zentraler Probleme, vor denen viele westliche Staaten, die formal als Demokratien angelegt sind, stehen. Ein Verhalten kommt zum Vorschein, dass tief in einem naiven Glauben an die „Soheit“ der Dinge verwurzelt ist.
Den ‚Bewahrern der Verhältnisse‘ gelingt es eher selten, ihre tief einverleibten Glaubensüberzeugungen fundamental kritisch zu hinterfragen. Mit einer der bekanntesten Soziologen weltweit, der US-Amerikaner C. Wright Mills, hingegen hinterfragte in seiner Studie „Die Machtelite“, die als Gründungsdokument der Elitensoziologie und Machtstrukturforschung gilt, bereits 1956 ‚radikal‘, ob die USA tatsächlich eine Demokratie seien. Und der weltbekannte US-amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky betont immer wieder, die USA seien eine „Plutokratie, die sich als formale Demokratie maskiert“ und die armen Bürger geradezu „entrechtet“ (siehe: Die Machtelite. Aktuelle Einführung S. 39) Auch der deutsche Elitenforscher Michael Hartmann konstatierte in seiner Studie „Die Abgehobenen“ eine Aushöhlung der Demokratie in Deutschland. Oder etwa der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn, dessen im Suhrkamp Verlag veröffentlichtes Buch den Titel Simulative Demokratie - Neue Politik nach der postdemokratischen Wende trägt. Darf ein Buch mit einem derartigen Titel noch in Trier verkauft werden?
Die lange Reihe an kritischen Gesellschaftswissenschaftlern und Intellektuellen anzuführen, die grundlegend und fundiert unsere Demokratierealität hinterfragt haben, würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen. Wobei ohnehin davon auszugehen ist, dass diejenigen, die sich über Äußerungen von Rodrian echauffieren, kein Interesse an herrschafts- und machtkritischer Forschung haben. Im Haus der Doxa lebt es sich am besten, wenn Glaubenssätze unangetastet bleiben. Die soziale Beobachtung zeigt: Es sind insbesondere tendenziell jene Akteure, die aufgrund ihrer beruflichen und sozialen Stellung geradezu an einen naiven, demokratietheoretischen Glauben festhalten müssen, da ein fundamentales Hinterfragen in der Sache sich nicht mit ihrer im sozialen Feld eingenommen Position in Einklang bringen ließe.
Wovor fürchtet sich die Stadt Trier? Vor staatskritischen Künstlern?
Ein Trierer Oberbürgermeister, der Rodrian und Masuth mit Handschlag auf der Bühne begrüßt und mit ihnen über den Zustand der Demokratie oder vielleicht der ‚Pseudodemokratie‘ diskutiert? So mancher weigert sich so etwas wohl auch nur zu denken. Womit wir beim Kernproblem angelangt sind. Was sind das nur für Demokraten, die den Raum des Sagbaren so abstecken, dass völlig legitime Fragen und Gedanken als illegitim, unbotmäßig, ja als “staatsgefährdend“ eingeordnet werden? Die Empörungsreaktion auf Rodrians Standpunkt, wonach wir nicht in einer Demokratie, sondern in einer „Demokratiesimulation“ lebten, erinnert an die Reaktion von stark konservativen und überfordernden Eltern, die ihr Kind auf die Frage, ob Babys denn tatsächlich vom Klapperstorch gebracht würden, erbost ohne Abendessen aufs Zimmer schicken.
Was ist das für ein erbärmliches Verhalten, wenn Demokraten nicht bereit sind, auch mit dem radikal Andersdenkenden (Radikalität ist hier gewiss nicht der Fall) in jener Arena zu begegnen oder gegebenenfalls entgegenzutreten, wo Demokraten beheimatet sind: in der Arena der öffentlichen Diskussion? Wovor fürchtet sich die Stadt Trier? Vor bundesweit negativen Schlagzeilen, produziert von Redakteuren in großen Medien, die mit ihrem stark ausgeprägtem Hang zur Orthodoxie besser in einem Heimatmuseum denn im Journalismus beschäftigt wären?
Im Trierischen Volksfreund heißt es:
Als Konsequenz aus dem Streit kündigt die Stadt Trier eine Verschärfung der Nutzungsverträge für das Kulturspektrum an. „Bei der künftigen Vergabe der Räumlichkeiten an Dritte, die dort Programm anbieten, wird sich die Stadt vorbehalten, Künstlerinnen und Künstler, die öffentlich haltlose oder extremistische Positionen vertreten, nicht auftreten zu lassen. Die Leitlinien des Konzeptraums Kulturspektrum werden entsprechend ergänzt.“ Was genau „öffentlich haltlos“ oder „extremistisch“ sei, könne man nur im Einzelfall entschieden werden, sagte Kulturdezernent Markus Nöhl auf TV-Anfrage… Als weitere Konsequenz kündigt die Stadt eine Info-Veranstaltung in Kooperation mit der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IAA) an, in der es darum gehen soll, „wie kulturelle Arbeit für extremes Gedankengut missbraucht werden kann“…
Äußerungen dieser Art sollten eigentlich aufgrund ihrer speziellen intellektuellen Qualität ignoriert werden. Wenn aber derartige Gedanken handlungsleitend für eine Kulturpolitik der Exklusion und Zensur sind, dann dient das nicht dem Schutz der Demokratie, sondern beschädigt sie.
Was sollen denn „öffentlich haltlose oder extremistische Positionen“ sein? Wer legt fest, was „haltlos“ und „extremistisch“ ist? Die ehrwürdigen Mitglieder eines Wahrheitsministeriums?
Der Geist, der hinter diesen Worten steckt, ist brandgefährlich. In einem pluralistisch verfassten Gemeinwesen darf der freie Fluss von Meinungen und Positionen nicht durch politisch motivierte Talsperren begrenzt werden. In einem Voltaire nachgesagten Zitat, heißt es: Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen.“
Das ist der Geist, der Demokratie atmet. Der Geist, der gerade in Trier zum Vorschein kommt, spricht eine Sprache, die jedem echten Demokraten weh tut.
Politisch, weltanschaulich hoffnungslos überforderte Funktionsträger
Geradezu absurd ist es zu lesen, dass wegen Rodrian und Masuth eine „Info-Veranstaltung“ mit einer „Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung“ abgehalten werden soll. Was haben Rodrian und Masuth mit „Antisemitismus“ zu tun?
In dem gesamten Artikel gibt es keinen fundierten Hinweis auf eine derartige Verbindung. An einer Stelle wird die Vorsitzende des Trierer Kultur- und Kommunikationszentrum (Tufa) Jana Schröder zitiert, die sagt: „Herr Masuth engagiert sich in der Partei ‚Die Basis’, die nachweislich durch demokratiefeindliche Äußerungen, rechte Tendenzen und ihre Nähe zur Querdenker-Bewegung auffällt“.
Alleine schon diese vage Vermischung von angeblich „demokratiefeindlichen Äußerungen“ (welche?), „rechte Tendenzen“ (was sind denn „rechte Tendenzen“?) und der „Nähe zur Querdenker-Bewegung“ (und, wo ist das Problem?), lässt erahnen, von welcher Qualität das Raunen ist.
Diese Stelle wirft auch ein sehr schlechtes Licht auf die Zeitung und den verantwortlichen Chefredakteur Thomas Roth. Wie kann eine solche unsubstantiierte Aussage die Redaktionskontrolle passieren?
Reichen die Buzzwords aus, um weltanschaulich-redaktionell durchgewunken zu werden? Warum wurde hier nicht nachgefasst? Warum wurde keine Gegenmeinung ins Blatt gehoben?
Ein verantwortungsvolles Handeln vonseiten der Stadtverantwortlichen wäre es gewesen, diese Vorwürfe sauber zu prüfen. So steht der schwere Verdacht öffentlich im Raum, die Künstler könnten - irgendwie, irgendetwas - mit Antisemitismus zu tun haben. Seit längerem ist bundesweit zu beobachten, dass entsprechende Vorwürfe überaus taktisch instrumentell gegen politisch nichtopportune Akteure eingesetzt werden. Damit wird dem wichtigen Anliegen, echtem Antisemitismus entgegenzutreten, ein Bärendienst erwiesen. Der inflationäre Gebrauch solcher Vorwürfe führt zu einer Desensibilisierung in der Gesellschaft.
Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass politisch und weltanschaulich hoffnungslos überforderte Funktionsträger mit dem Potenzial kritischer Intellektualität, das Rodrian, Masuth und Co. am 9. November und 2. Dezember nach Trier tragen, nicht klarkommen. Wer im Zentrum der Orthodoxie steht, nimmt wohl jeden, der minimal von diesem Zentrum abweicht, als irgendwie ‚radikal‘ wahr.
Mills sagte: „Radikalismus kommt in detaillierten und überzeugenden Analysen zum Ausdruck, nicht in Namen und Parolen.“ Ob die das in Trier verstehen?
Anmerkung: Mit dem Musiker Jens Fischer Rodrian habe ich zusammen das Projekt Friedensnoten initiiert. Ich kenne und schätze ihn als Mensch und Künstler.
Macht- und herrschaftskritischer Journalismus ist für die Demokratie elementar. Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann dies über ein Abonnement meines Substack-Kanals tun. Vielen Dank!