Meinungsvielfalt? Schule sagt Veranstaltung mit Autor Patrik Baab ab
Der geplante Auftritt des Autors von "Auf beiden Seiten der Front" war für die Anita-Lichtenstein-Gesamtschule zu viel. Das ist feige. Ein Kommentar
Die Anita-Lichtenstein-Gesamtschule in Geilenkirchen hat eine für heute geplante Veranstaltung mit dem Autor Patrik Baab abgesagt. Die Zeitung Rheinische Post greift den Vorfall auf und bezeichnet Baab, in der Überschrift als „umstritten“. Der Artikel ist von schwacher journalistischer Qualität, das Verhalten der Schule feige. Vorausgegangen war der Absage eine Mail eines besorgten Bürgers an die Schule und das Schulamt.
Patrik Baab ist seit über 45 Jahre Journalist, viele Jahre davon beim Öffentlich-Rechtlichen. Seine Arbeit als kritischer Journalist ist bekannt, sein Buch „Im Spinnennetz der Geheimdienste“ über den Tod von Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby eine brillante Auseinandersetzung mit den Hintergründen einer schmutzigen Machtpolitik. Nun hat sich Baab etwas geleistet, was heutzutage einer journalistischen Todsünde gleichkommt. Er hat beide Seiten eines Konflikts angehört. In einer Zeit, in der die „richtige Haltung“, ideologische Betriebsblindheit und durch viel Überzeugung ersetztes Wissen den Journalismus bis nach Hintertupfing durchdrungen haben, wird jemand wie Baab schnell zum Störenfried. Baab ist für sein neues Buch in die Ukraine gereist und war auf beiden Seiten der Front. Mit anderen Worten: Er war auch beim „Feind“. Und er verurteilt sowohl den russischen Angriffskrieg als auch das fragwürdige Handeln des Westens. Das schmeckt manchen Zeitgenossen nicht. Vor allem, wenn dabei auch noch eine Analyse des Krieges rauskommt, die der vorherrschenden eindimensionalen Wahrheit entgegensteht. Anders gesagt: Baab liefert, was gute Journalisten liefern sollten: Perspektivierung! Und somit lag die Anita-Lichtenstein-Gesamtschule in Geilenkirchen mit der Einladung Baabs genau richtig. Aus erster Hand von einem der wenigen Journalisten, der auf beiden Seiten der Front war, zu hören, was seine Erlebnisse waren, wie er den Krieg und die politische Situation einordnet: So geht Schule, die ihren Schülern ein vom Blickschutz befreites Denken anbietet. Gut. Doch wer heutzutage kritische Denker zu Veranstaltungen einlädt, braucht nicht nur einen guten Willen. Er braucht auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich gegenüber Kritik von innen und außen durchzusetzen.
In dem Artikel der Rheinischen Post heißt es, der Schulleiter Uwe Böken kenne Baab nach eigener Aussagen schon lange. Zweifel an der journalistischen Integrität Baabs habe er keine. Und doch: „Wir sehen die Gefahr, dass die Veranstaltung von Menschen gekapert wird, die wir hier an unserer Schule nicht haben wollen.“
Bei Lichte betrachtet – das muss man dem Schulleiter Böken zu Gute halten – ist die Aussage etwas für das Geschichtsbuch. Sollten sich nachfolgende Generationen einmal mit der Erosion von Pluralismus und Demokratie in dieser, unserer Zeit auseinandersetzen, werden Forscher vermutlich sagen: „So war das damals.“ Halten wir uns vor Augen: Es geht lediglich um einen kleinen Auftritt eines Autors in einer Gesamtschule. Wir reden hier nicht über den Besuch eines brutalen Diktators auf Staatsebene bei Kanzler und Bundespräsident. Wenn eine Schulleitung sich darum – offensichtlich ernsthaft – Sorgen macht, dass eine derartige, kleine, einfache, Veranstaltung „von Menschen gekapert wird, die wir hier an unserer Schule nicht haben wollen“, dann muss die Frage gestattet werden: Wo leben wir eigentlich? Welches Klima herrscht hier vor? Welche „Menschen“ würden denn eine einfache Lesung in einer Gesamtschule „kapern“? Wie darf man sich das vorstellen? Würde Putin persönlich 500 russische Propagandisten an die Gesamtschule schicken? Würde die Truppe Baab frenetisch applaudieren und nebenbei die armen Kinderlein noch schnell indoktrinieren? Ein Realitätsabgleich unter Hinzuziehung der Vernunft straft die Aussage Bökens auf den Fuß. Baab ist auf Lesereise. Es kommt zwar immer wieder vor, dass gegen seine Lesungen – meistens von Akteuren, die im Schutze der Anonymität böse Briefe an die Veranstalter schreiben – protestiert wird. Aber gekapert wurde noch keine Veranstaltung. Oder fürchtet sich Böken davor, dass im Internet vielleicht auf russischen Kanälen der Auftritt Baabs im propagandistischen Sinne missbraucht werden könnte? Wenn dem so ist, dann empfiehlt sich folgender Rat: Am besten werden grundsätzlich nur noch Veranstaltungen durchgeführt, die einzig und allein im Sinne der vorherrschenden Narrative stehen. Und sollten diese Veranstaltungen eventuell von der „richtigen“ Seite missbraucht werden, dann ist das selbstverständlich kein Problem, weil die „Guten“ nie Propaganda betreiben und folglich auch nie irgendetwas propagandistisch missbrauchen können. Die Entdifferenzierung der Wirklichkeit: sie liegt sehr nahe.
Nur passt eine eindimensionale politische Realität nicht zu Bildungseinrichtungen, denen auch die Aufgabe zukommt, ein fundiertes politisches Wissen zu vermitteln.
Liest man die Aussagen von Hans Bruckschen, „Didaktischer Leiter“ an der Schule, ist die Schule selbstverständlich um Differenzierung bemüht. „Wir sind eine Schule, die durchaus bemüht ist, gesellschaftspolitische Themen in die Schule zu holen. (…) Wir bemühen uns, wichtige Themen so aufzuarbeiten, dass sie für die Kinder verständlich werden. Dabei hinterfragen wir uns selber sehr kritisch“, heißt es in dem Zeitungsartikel.
So viel „Bemühen“ – aber wenn am Ende die Ausladung eines kritischen Autors steht, dann hat das „Bemühen“ den Geschmack eines für einen Arbeitnehmer wenig schmeichelnden Arbeitszeugnisses, in dem zu lesen ist: „Der Mitarbeitet war stets bemüht.“
Prinzip Kontaktschuld?
Zu Baab habe die Schule „gründlich“ recherchiert. Allerdings sei aufgefallen, „dass sich Baab auch in Sendungen und Podcasts einladen lässt, die mit den politischen und gesellschaftlichen Werten unserer Schule nicht vereinbar sind“, so Bruckschen.
Schließlich fallen die Namen Alina Lipp und Sergej Filbert, die als „prorussische Propagandisten“ bezeichnet werden, zu denen Baab eine „Nähe“ habe. Die Schule sei zu der Erkenntnis gekommen, „dass Herr Baab etwas zu unreflektiert mit seinen Gesprächspartnern umgeht.“
Wie soll bei einer derartigen Stellungnahme, wie soll bei einem derartigen Artikel eine interessierte Öffentlichkeit in der Lage sein, sich ein eigenes Urteil zu bilden? Hier werden schwere Anschuldigungen erhoben, nämlich: Baab lasse sich mit Personen ein, die mit „politischen und gesellschaftlichen Werten“ nicht in Einklang zu bringen seien. Wäre es zu viel verlangt zu erfahren, welche „politischen und gesellschaftlichen“ Werte konkret gemeint sind? Was genau ist die Grundlage dieser Aussage? Was haben diese „Personen“ getan, dass sie die Werte der Schule verletzt haben? Wie hat sich Baab im Umgang mit diesen Personen verhalten? Oder reicht alleine schon das Prinzip „Kontaktschuld“ aus?
Journalismus? Viele Defizite
An dieser Stelle muss man Autor Christos Pasvantis vorwerfen, einen schlechten Journalismus abzuliefern. Es fehlt an Inhalt und, wichtig, Perspektivierung. Die angeführten Aussagen erzeugen ein lautes Raunen. Das war’s. Sowohl Schule als auch Zeitung sollten, wenn sie schon öffentlich über Baab und die Veranstaltung sprechen bzw. berichten wollen, ihre Kritik auf ein tragfähiges Fundament gießen. Schon die Überschrift, die Patrik Baab als „umstritten“ bezeichnet, ist journalistisch fragwürdig. Ist der Begriff „nur“ in einer einfachen, einordnenden Weise zu verstehen? Oder ist er weltanschaulich aufgeladen und entsprechend kontaminiert? Wenn er zur einfachen Einordnung dient, dann müsste so ziemlich in jedem Artikel und zu beinahe jeder Person der Begriff angeführt werden. Schließlich: Wer ist schon nicht „umstritten“? Die Medienbeobachtung zeigt: Eigenartiger Weise bezeichnen Journalisten vor allem immer wieder Personen als „umstritten“, die eine vom Mainstream abweichende Meinung haben.
Überhaupt: „Einordnung“. In dem Artikel findet sich auch folgende Stelle:
Kritik an der Veranstaltung hatte auch der Dresdener Martin Walther (Mitglied in der dortigen FDP) geäußert: Er hatte eine Mail an die Geilenkirchener Gesamtschule und an das Schulamt des Kreises Heinsberg geschickt – dieses wiederum ist für den Fall nicht zuständig und hatte die Mail an die Bezirksregierung Köln weitergeleitet.
Wäre es im Sinne eines um Perspektivierung bemühten Journalismus nicht angebracht, den Briefeschreiber für die Leserschaft näher einzuordnen? Zum Beispiel: In den Dresdner Neusten Nachrichten heißt es in einem Artikel über Walther, er sei „Teil der NAFO-Bewegung“, also einem laut Wikipedia „Internetphänomen“, „das die Verbreitung russischer Kriegspropaganda und russischer Fehlinformationen bekämpft… .“
Auf dem X-Kanal (ehemals Twitter) von Walther ist das Thema Ukraine-Krieg sehr präsent - mit Emotionen. Zu X-Chef Elon Musk, der den ukrainischen Präsidenten kritisierte, finden sich folgende Tweets:
Musk ist völlig fertig, ich hoffe, dass sein Drogenhirn bald platzt.“ (Link)
Fuck you, @elonmusk. Der Typ ist wirklich extrem dumm. (Link)
Auf den Tweet eines Lesers, Walther möge vielleicht mal an seiner „Rhetorik“ „arbeiten“, lautet die Antwort: „Einen Teufel werde ich tun.“ (Link)
Auf dem Kanal finden sich auch Tweets des Bild-Redakteurs Julian Röpcke.
Röpcke hatte im vergangenen Jahr einen Tweet abgesetzt, worin es hieß, dass die ukrainische Armee einen russischen Angriff abgewehrt und so Russen „zu Dünger gemacht“ habe.
Russische Soldaten, vielleicht junge Menschen, die den Krieg auch nicht wollten, aber aus Umständen an der Front gelandet sind, zu Dünger gemacht? Welch schlimme Formulierung.
Es ist bemerkenswert, wie sehr Baab in dem Artikel kritisiert und hinterfragt wird - aber die Kritiker Baabs?
Aus journalistischer Sicht untragbar ist, dass in dem Artikel keine Gegenstimmen, die Baab unterstützen, vorkommen. Gibt es die nicht? Und: Warum kommt Baab in dem Artikel nicht selbst zu Wort? So geht ein fragwürdiger Journalismus mit einer fragwürdigen Entscheidung der Schule Hand in Hand.
Anmerkung: Mutige Schule? Gab es, vor einigen Jahren
Siehe hier und hier.
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